Der lange Weg

Der lange Weg vom Stellwerk zum Museum

Von Beat Winterberger, Gründer und 1. Präsident des Vereins Stellwerk Kerzers



Am Anfang war es eine Idee

Dass das Stellwerk Kerzers aus dem Jahre 1901 stammt, ist eine ganz neue Erkenntnis. Bisher ging man vom Entstehungsjahr 1896 aus. Und 1996 jährte sich folglich die Inbetriebnahme des Stellwerkes zum 100. Mal. In Kerzers stand somit das älteste noch in Betrieb stehende Stellwerk der SBB und europaweit letzte, welches die Kommandos vom Befehl- zum Stellwerk noch über Drahtzüge erteilte. Grund genug für uns, ein grosses Bahnhoffest auf die Beine zu stellen. Das Programm fand Anklang und die Festbesucher pilgerten in Scharen zum Bahnhof. Ein zentrales Element waren halbstündige Führungen im Stellwerk. Zum ersten Mal überhaupt hatte die Bevölkerung von Kerzers Gelegenheit, dem Stellwerkangestellten bei seiner vielseitigen und verantwortungsvollen Arbeit über die Schultern zu schauen und das Betriebsgeschehen aus einer ganz neuen Perspektive zu erleben. Das Publikum war buntgemischt und setzte sich aus allen Alters- und Bevölkerungsschichten zusammen.


Nach diesem Grosserfolg reifte in mir die Idee, mich später einmal für den Erhalt des Stellwerkes und einem Weiterbetrieb als Museum einzusetzen.


Aus der Idee wird ein Projekt

1998 verfasste ich eine erste Projektschrift und reichte diese bei der damaligen Kreisdirektion I sowie dem Departement Technik der Generaldirektion zur Begutachtung ein. Die Begeisterung hielt sich in engen Grenzen und gipfelte schlussendlich in einer Absage dieses Projekt zu unterstützen. Dieser Bescheid hielt mich aber nicht davon ab, weiter an meine Idee zu glauben – im Gegenteil. Nun galt für mich „jetzt erst recht!“ Das Amt für Kulturgüter des Kt. Freiburg zeigte auf meine Anfrage hin sofort Interesse und Verständnis. Hier wurde der grosse Wert als kulturhistorisches Objekt auf Anhieb erfasst. Die zuständige Denkmalpflegerin, Frau Carmen Reolon wurde meine wichtigste Partnerin, zusammen wurden wir zu einem schlagkräftigen Team. Sie knüpfte die nötigen Kontakte zur Eidg. Denkmalpflege welche das Stellwerk 2003 unter den Schutz des Bundes stellte. Ein erstes, wichtiges Etappenziel war damit erreicht!


Der Ausbau der S-Bahn Bern mit dem Flügelzugkonzept auf der Achse Bern-Kerzers-Murten bzw. Neuenburg machte umfassende Infrastrukturumbauten in Kerzers nötig. Ein Umbau der alterwürdigen Bruchsalanlage kam von Anfang an nicht mehr in Frage. Der gesamte Umbau wurde durch die BLS im Auftrag der SBB geplant und ausgeführt. Ein Glücksfall für uns. Wir erhielten so sehr früh Einsicht in die Planung und konnten unsere Wünsche und Anregungen direkt einbringen. Damit stiessen wir beim Projektleiter und den Planern verständlicherweise nicht immer nur auf Gegenliebe. Es brauchte viel Ueberzeugungsarbeit, Verhandlungsgeschick und beiderseits grosse Geduld um die schlussendlich realisierte Version der heutigen Publikumsanlagen sowie den Standort des neuen elektronischen Stellwerkes zu realisieren. Dank dem Amt für Kulturgüter gelang es auch, das gesamte Bahnhofensemble ins Inventar der „Regionalbahnhöfe von nationaler Bedeutung“ aufzunehmen! Dadurch blieb das noch aus der Gründungszeit der Broyetallinie stammende Ensemble grösstenteils erhalten. Vom ursprünglich geplanten Facelifting im Rahmen des schweizweit zur Anwendung kommenden Programmes RV 05 wurden in Kerzers nur gerade die Beleuchtungskandalaber und das Wartehäuschen aus Glas verwirklicht. Diese beiden Elemente fügen sich trotz moderner Architektur harmonisch ins Ganze ein.


Mit 103 (!) Jahren in den Ruhestand

In der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober 2004 erfolgte die von langer Hand sorgfältig geplante Betriebsumstellung. Nach 103 Jahren treuer Pflichterfüllung gingen das mechanische Befehl- und das Stellwerk in den wohlverdienten Ruhestand und machten einer elektronischen Anlage der neusten Generation Platz. Für das in Kerzers stationierte Personal ging damit eine Epoche endgültig zu Ende. Heute wird die Betriebsführung des Bahnhofs Kerzers durch die Betriebszentrale BLS in Spiez ferngesteuert und überwacht.



Das Museum

Die Teilnahme an den europäischen Denkmaltagen 2004, mehrere Liveinterviews im Radio, ein TV-Beitrag in „Schweiz aktuell“ sowie eine Diplomfacharbeit in Denkmalpflege des ETH-Architekturstudenten Christian Hanus förderten das Interesse an unserem Projekt und halfen zusammen mit der unermüdlichen Unterstützung des Amtes für Kulturgüter des Kt. Freiburg mit, das gesteckte, hohe Ziel zu erreichen. Im September 2004 wurde die seit 1998 bestehende Projektgruppe „Pro Stellwerk Kerzers“ aufgelöst und im Beisein von 30 Interessierten der Verein Stellwerk Kerzers gegründet. Heute zählt der Verein bereits über 100 Mitglieder!


Nun galt es, die Eigentumsverhältnisse und allfällige finanzielle Beteiligungen mit der SBB und BLS zu klären. Zwei überaus intensive Jahre mit unzähligen Gesprächen, Sitzungen Korrespondenzen, Telefonaten, Ortsterminen und eine Volksabstimmung in Kerzers waren nötig, bis alles gütlich geregelt war. Am 24. Juli 2007 erfolgte dann die langersehnte Vertragsunterzeichnung. Die Gemeinde Kerzers ist neue Besitzerin und unser Verein erhält über eine schriftliche Vereinbarung das Betreiber- und Nutzungsrecht.

Die Bilanz der letzten 19 Vereinsjahre ist überaus positiv: in über 560 Führungen besuchten 8160 Personen unser Stellwerkmuseum und in über 14'900 Stunden Frondienst wurden die nötigen Revisions- und Unterhaltsarbeiten erbracht.

 

Dank der Wiederinbetriebnahme der seit 2004 stillgelegten Stellwerkelektrik im Jahre 2017 erleben unsere Besucher heute wieder den „Echtbetrieb“.

 


So lebt unser Stellwerk weiter und wird auch nachfolgenden Generationen Zeugnis ablegen von längst vergangenen Zeiten, von einer überaus faszinierenden Epoche, als „die Eisenbahn noch Eisenbahn“ war. Und erinnert gleichzeitig an die Generationen von Eisenbahnern, welche treu und pflichtbewusst ihren Job machten, aber auch an die Weitsicht und den Pioniergeist der Ingenieure der damaligen Zeit. All ihnen gilt unser Dank und unsere ganze Anerkennung!